„Green Wilhelmshaven“

Perspektiven: Uniper trägt mit Projekten zum Ausbau Wilhelmshavens zu einer zentralen Energiedrehscheibe für den Import und die Produktion grüner wasserstoffbasierter Energieträger bei.

Wenn es um die Energiewende geht, fällt ein Name immer sofort: Uniper. Nach dem Bau des ersten deutschen LNG-Terminals im Jahr 2022 bewirtschaftet das in Düsseldorf ansässige Unternehmen im Auftrag der Bundesrepublik Deutschland seit Anfang 2023 die Anlage. An der Jade sind die Rheinländer allerdings schon etwas länger zu Hause. Auf dem Rüstersieler Groden haben sie über Jahrzehnte hinweg das Kohlekraftwerk betrieben.

Versorgungssicherheit ist fest in der DNA des Konzerns verankert. Angetrieben vom eigenen Anspruch, Versorgungssicherheit und Dekarbonisierung zu verbinden, verändert Uniper gerade die Energiewirtschaft. Wie das funktioniert, verrät uns Uniper COO (Chief Operating Officer) Holger Kreetz als Mitglied des Vorstandes des Energieunternehmens im Interview.

In unserem Hafen-Talk sprechen wir mit ihm über Wasserstoff, Windkraft und Wertschöpfung sowie über Ammoniak und die Farben Blau und Grün. Auch ein Dreiklang und der Titel „Mr. Wilhelmshaven“ spielen darin eine nicht unbedeutende Rolle.

Für eine klimaneutrale Zukunft gilt es, viele Puzzleteilchen zusammenzusetzen. Ein Generationsprojekt, bei dem – anders als bei vielen vergleichbaren politischen Entscheidungen – die Menschen die Fortschritte in Wilhelmshaven hautnah miterleben können.

Ob als Einheimischer, der quasi Tür an Tür mit der Energiewende lebt, oder als Urlauber, der von der modernen Energieherstellung fasziniert ist. Neben den Vorteilen für das Klima und die Versorgungssicherheit bieten die neuen Technologien langfristige Perspektiven für den Arbeitsmarkt. An der Jade wird all dies sichtbar.

Für Holger Kreetz ist die „Energiewende made in Wilhelmshaven“ ein identitätsstiftendes Projekt für die Stadt: „In Wilhelmshaven ist der politische Wille vorhanden, den Standort mit all seinen Potentialen zu forcieren und Wertschöpfung für die Region zu generieren.“ Kreetz spürt aber auch, dass die Aufbruchstimmung seit der Inbetriebnahme des LNG- Terminals vor zwei Jahren etwas nachgelassen hat. Dies aus unterschiedlichen Gründen.

Seit über 65 Jahren gilt Wilhelmshaven als Energiedrehscheibe. Waren es damals fossile Brennstoffe, so setzt man mittlerweile auf regenerative Energien. Die Stadt ist gegenwärtig, nicht zuletzt dank Ihrer Hilfe, auf dem besten Weg, ein Hub für grüne Energiequellen für ganz Deutschland zu werden. Was zeichnet Wilhelmshaven aus Ihrer Sicht als Energie- und Industriestandort besonders aus?

Diesbezüglich unterscheide ich gerne zwischen den wirtschaftlichen und den menschlichen Aspekten. Ökonomisch hat der Import von Kohle und Öl sowie der Betrieb von zwei Kohlekraftwerken Wilhelmshaven lange Zeit als einen der führenden deutschen Energiestandorte ausgezeichnet. Für uns ist die Stadt deshalb seit den 1970ern zu einer zweiten Heimat geworden, der wir uns traditionell verpflichtet fühlen.

Unser hiesiges Kraftwerk zählt zu den Pionieren der Rauchgasreinigung. Bereits 1978 arbeitete hier die erste Entschwefelungsanlage Deutschlands. Ebenso wurde eine Anlage zum Abscheiden von Kohlenstoff erprobt, mit der wir in Wilhelmshaven bereits Erfahrungen im Hinblick auf das Thema “Carbon Capture” sammeln konnten. Nach der Stilllegung des Kraftwerks arbeiten wir nun daran, Wilhelmshaven zu einer zentralen Energiedrehscheibe für den Import und die Produktion grüner wasserstoffbasierter Energieträger auszubauen. Die Hilfe, die wir hierbei von der Stadt sowie von Bund, Land und der EU erhalten, beeindruckt mich.

Nicht nur diese Unterstützung ist für mich ein Standortvorteil. Wilhelmshaven verfügt mit seinem tideunabhängigen Tiefwasserhafen über ein absolutes Alleinstellungsmerkmal an der deutschen Nordseeküste. Dadurch kann das schwimmende LNG-Terminal jederzeit von LNG-Transportschiffen angefahren werden. Gleichzeitig befindet sich der Anleger weit genug vom Fahrwasser entfernt und beeinträchtigt die allgemeine Seefahrt nicht.

Ein weiterer Pluspunkt ist die ideale Infrastruktur. Die Anbindung ist optimal. Und zwar einerseits an das Autobahn-, Schienen- und Übertragungsnetz sowie andererseits an den Einspeisepunkten ins Ferngasleitungsnetz und zu den Speicherkavernen in Etzel.

Neben diesen politischen und logistischen Vorzügen begleitet in Wilhelmshaven eine äußert agile Verbandslandschaft unsere Vorhaben. Die unterschiedlichen Interessenvertretungen eint das gemeinsame Ziel, ihre Stadt nach vorne zu bringen. Bei den zahlreichen Treffen haben wir großartige Menschen kennengelernt, die uns manche Tür geöffnet haben. Dafür bedanke ich mich an dieser Stelle ausdrücklich.

Ihre Begeisterung für unsere Stadt ist ansteckend. Stimmt es, dass man Sie bei Uniper „Mr. Wilhelmshaven“ nennt?

Das mag sein. Mit diesem Spitznamen können sich aber einige „schmücken“, nicht nur bei der Uniper. In der Region sowie in Politik und Wirtschaft engagieren sich viele, die diesen lokalpatriotischen Titel ebenfalls tragen oder zumindest tragen sollten. Meiner Meinung nach kann es gar nicht genug „Mrs. und Mr. Wilhelmshaven“ geben.

Definitiv. Wilhelmshaven wirbt selbst mit dem Slogan „Grüne Stadt am Meer“. Ein Satz, der viel Raum für Interpretationen lässt. Sie greifen ihn mit Ihren „Green Wilhelmshaven“-Projekten auf. Demzufolge sollen ein Wasserstoff-Importterminal sowie eine 1-Gigawatt-Elektrolyseanlage für die Wasserstoffproduktion bis Ende des Jahrzehnts gebaut werden. Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Offshore-Windenergie?

Offshore-Windenergie ist aus unserer Sicht unverzichtbar für die deutsche Energiewende und die Umstellung auf eine nachhaltige Energieversorgung mit grünem Wasserstoff. Schließlich benötigen wir für den Herstellungsprozess (Elektrolyse) neben Wasser vor allem Strom, der das Wassermolekül H2O in die Moleküle H2 (Wasserstoff) und O2 (Sauerstoff) zerlegt. Zu diesem Zweck wollen wir Elektronen von hoher See importieren. Nur wenn der Strom für die Elektrolyse aus erneuerbaren Energiequellen kommt, dürfen wir ihn überhaupt als grünen Wasserstoff deklarieren.

So wie beim „Green Wilhelmshaven”-Terminal?

Genau. Auch dieses Projekt als Teil unseres Energy Transformation Hubs Nordwest ermöglicht uns den schiffsbasierten Wasserstoffimport in Form von grünem und blauem Ammoniak. Damit möchten wir einen wichtigen Beitrag zur Nachhaltigkeit sowie zur Versorgungssicherheit von Deutschland und Europa leisten.

Worin unterscheiden sich eigentlich diese beiden Ammoniakvarianten?

Um es gleich vorwegzunehmen: Bei der Weiterverarbeitung zu Wasserstoff macht es überhaupt keinen Unterschied, ob der Ausgangsstoff – bildlich gesprochen – grün oder blau ist. Über einen technischen Prozess – die sogenannte Cracker-Technologie – wird das Ammoniak schlichtweg in seine Bestandteile Stickstoff und Wasserstoff aufgespalten. Letzterer kann später eingespeist und über das Wasserstoffkernnetz transportiert werden.

Für die Bezeichnung ist die Herkunft ausschlaggebend. Blaues Ammoniak wird aus fossilen Brennstoffen gewonnen und ist dementsprechend günstiger. Dennoch wird es unter einer zusätzlichen CO2-Abscheidung hergestellt und gilt somit als saubere Energieoption.

Grünes Ammoniak verursacht hingegen keine direkten Kohlenstoffemissionen, da es aus Erneuerbaren Energien wie Wind- oder Sonnenenergie hergestellt wird. Egal ob blau oder grün, beides ist auf jeden Fall eine bessere und klimaschonendere Wahl als herkömmliche Energieträger wie Gas oder Öl.

„Green Wilhelmshaven“ beinhaltet erhebliche Chancen für unsere Stadt und die benachbarte Region. Welche sind dies?

Wenn wir die Energieversorgung fit für die Zukunft gemacht haben, sollen vor Ort neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze entstehen. Vor diesem Hintergrund gehen wir schon im Vorfeld aktiv gegen den befürchteten Fachkräftemangel vor.

Dazu haben wir das bisherige Ausbildungszentrum auf unserem Kraftwerksgelände zu einem regionalen Aus- und Fortbildungszentrum weiterentwickelt. Das vorhandene technische und personelle Know-how binden wir selbstverständlich in diesen Prozess mit ein.

Momentan sind dort 30 Auszubildende tätig. Bis zu 80 sollen es mittelfristig werden. Vor allem mit unserer Aus- und Weiterbildung im Bereich Wasserstoff stellen wir die Weichen für Berufsbilder, die in Zukunft dringend benötigt werden. Hiervon können die Unternehmen in der Region Wilhelmshaven/Friesland genauso wie wir profitieren.

Des Weiteren werden sich die Wertschöpfungszentren teilweise geografisch verlagern. Die Nordseeküste steht in den Startlöchern, um zur Energiedrehscheibe Europas zu werden.

Dabei muss die Stadt aber auch das Umland von dieser Entwicklung profitieren und die Wertschöpfung in der Region bleiben. Wo ausreichend Geld vorhanden ist, wird nicht nur Daseinsvorsorge betrieben, sondern vermehrt in weiche Standortfaktoren wie Kultur investiert. Das macht Wilhelmshaven für viele als Lebensmittelpunkt zunehmend attraktiv.

Momentan bauen Sie Wilhelmshaven zur zentralen Energiedrehscheibe für den Import und die Produktion grüner wasserstoffbasierter Energieträger auf. Wie ist der aktuelle Sachstand?

Sämtliche Wasserstoffprojekte befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium. Persönlich bin ich sehr stolz darauf, dass Uniper in Zeiten globaler Krisen bei der Klimaneutralität derart schnell vorangekommen ist. Um die Energiesysteme umzubauen, bedarf es allerdings weitreichender politischer und monetärer Unterstützung – diese sind aufgrund der aktuellen bundespolitischen Situation noch einmal mehr erheblich ins Stocken geraten. Als Uniper planen wir unseren Beitrag dazu zu leisten, dass aus Wilhelmshaven perspektivisch über 50 Prozent des deutschen Wasserstoffbedarfs abgedeckt werden könnten.

Wobei man den Fokus nicht nur auf den Rüstersieler Groden oder das Cracken von Wasserstoff legen sollte. Auch die Erdgasspeicher wie beispielsweise Krummhörn mit unserem Projekt „Hydrogen Pilot Cavern – HPC Krummhörn“ sind Teil des Gesamtkonzepts. In Krummhörn wird die Wasserstoffspeicherung erstmals im industriellen Maßstab erprobt.

Parallel zur Lagerung ist natürlich Wasser ein elementares Thema für uns. Die Forschung macht auf diesem Gebiet gute Fortschritte. Inzwischen ist es beispielsweise gelungen, Wasserstoff per Elektrolyse erstmals direkt aus Meerwasser zu gewinnen. Das verfolgen wir mit außerordentlichem Interesse. Bekanntermaßen ist auf unserem Kraftwerksgelände eine Meerwasserentsalzungsanlage geplant.

Ihr Zukunftskonzept basiert auf dem Dreiklang aus Versorgungssicherheit, Diversifizierung und nachhaltiger Transformation. Was verbirgt sich dahinter und wie verwirklichen Sie Ihre Visionen?

Es ist keine einfache Aufgabe. Energie soll nach dem Ausstieg aus der Kernenergie und der Abkehr von fossilen Energieträgern weiterhin bezahlbar und zuverlässig in der Belieferung sein, ohne dabei die Anforderungen an den Klimaschutz zu vernachlässigen. Dieser Dreiklang wird daher oft als „Energie-Trilemma“ bezeichnet.

Um erfolgreich alle Vorgaben zu erfüllen, verfolgen wir die Energiewende flexibel, ausbalanciert und maßgeschneidert. Unser Augenmerk liegt auf dem Ausbau der grünen Energieversorgung bei konsequenter Aufrechterhaltung einer stabilen Versorgung mit einspeisefähigem Strom.

Bei aller Ökologie dürfen wir jedoch nicht die Bedürfnisse unserer mehr als 1.000 Kunden aus dem Blick verlieren. Ein Drittel von ihnen stammt aus der Industrie. Viele von diesen Unternehmen lassen sich nur schwer oder gar nicht elektrifizieren. Für sie geht es bei der Energiewende primär um Wettbewerbsfähigkeit und ob Deutschland als Produktionsstandort wirtschaftlich bleibt.

Von ihrer Bereitschaft und Technologieoffenheit hängt für uns alle viel ab. Denn unserer Ansicht nach wird erst der Einsatz von Wasserstoff und seinen Derivaten zur Dekarbonisierung der energie- und emissionsintensiven Industrien den wahren Durchbruch in der Energiewende bringen. Für Branchen wie die chemische Industrie, die Stahlindustrie, den Schiffs- und Luftverkehr ist Wasserstoff wahrscheinlich die einzige Option zur CO2-Neutralität.

Jeder Weg beginnt mit einem ersten Schritt. Sie haben wiederholt betont: „Der LNG-Import über die FSRU ist der Beginn der Brücke in Richtung Wasserstoff-Zukunft und des Dekarbonisierungszeitalters ohne CO2.“ Wird dieser Weg je abgeschlossen sein oder wird sich die Energie beflügelt durch die Energiewende ab jetzt stets neu erfinden?

Die Energiewende ist ein dynamischer Prozess. Einmal in Bewegung gebracht, entwickelt sie sich rasant weiter. Und das ist gut so. Diese Geschwindigkeit ist notwendig. Den Luxus, uns Zeit zu lassen, haben wir nicht. Dies müssen wir endlich verinnerlichen. Infolgedessen planen wir am Wilhelmshavener Bontekai ein Besucherzentrum mit einem interaktiven Ausstellungskonzept. Mit diesem klaren Standortbekenntnis unterstreichen wir zusätzlich Wilhelmshavens überregionale Bedeutung für die Energiewende in Deutschland. Zudem spiegelt das nachhaltige Gebäude u.a. mit PV-aktivem Dach und modularer Holzkonstruktion die Kernwerte der Energiewende wider.

Bei allem, was wir tun, geht es uns um Authentizität. Mit Beginn des neuen Jahres bieten wir eine Bürgerdialogs-Plattform an, die unterschiedliche Meinungen aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft und Industrie zusammenbringen kann.

Neben einer fundierten Aufklärung geht es uns darum, vielen Menschen einen respektvollen und objektiven Austausch zu den Themen Energie, Transformation und Klimaschutz zu ermöglichen. Wie eingangs erwähnt, für mich kann es gar nicht genug „Mrs. und Mr. Wilhelmshaven“ geben, die sich die grüne Energiewende auf die Fahnen geschrieben haben.

Die geplante Großelektrolyse auf dem Rüstersieler Groden

FOTOS: Uniper