Interview mit John H. Niemann aus der Chronik „Hafenvisionäre“
Im ersten Jahr Ihrer Präsidentschaft ist die Niedersächsische Hafenvertretung (NHV) als Schnittstelle zwischen Landespolitik und Hafenwirtschaft ins Leben gerufen worden, erfüllt Sie das mit Stolz?
Natürlich. Eine stärkere Wahrnehmung der niedersächsischen Seehäfen in Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit ist und war stets das erklärte Ziel der WHV e. V.. Hinzu kommt, dass die NHV anlässlich des ersten Niedersächsischen Hafentages am 22. November 1991 in Wilhelmshaven gegründet wurde. Das zeigt, über welch hohen Stellenwert unsere Stadt in der maritimen Wirtschaft verfügt. Allerdings ist dies keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis unseres kontinuierlichen Engagements für den Standort.

Offensichtlich diente die WHV e. V. dem Land häufiger als maritimer Ideengeber. Nach der NHV entsteht 2004 die Seaports of Niedersachsen und ein Jahr später NPorts.
Wenn man so will, haben wir das Hafenbewusstsein aus dem Dornröschenschlaf geweckt. Glücklicherweise unterstützte das Wirtschaftsministerium in Hannover von Anfang an unseren Vorstoß, durch eine gemeinsame Hafenvertretung eine offizielle Plattform für die Interessen der niedersächsischen Hafenwirtschaft zu installieren.
Seaports of Niedersachsen, als Interessenvertretung bei Messen und Veranstaltungen im In- und Ausland, und NPorts, als Infrastrukturbetreiber
der landeseigenen Häfen, sorgen dafür, dass unsere Universalhafengruppe in den wichtigen hafenpolitischen Fragen auf Augenhöhe agieren kann. Und zwar national mit Hamburg und Bremen ebenso wie international mit unseren Nachbarn Rotterdam, Antwerpen oder Zeebrügge.

Apropos Augenhöhe. Im Gegensatz zu vielen anderen hat die Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung e. V. schon immer auf eine Symbiose von Hafen und Energie gesetzt. Warum?
Das ist relativ einfach zu erklären. Wir hatten ein ausgezeichnetes Vorbild. Mit dem Anspruch, die erste Mineralölfernleitung in Europa zu bauen und zu betreiben, ist 1956 die Nord-West Oelleitung GmbH (NWO) gegründet und 1958 in Wilhelmshaven an den Start gegangen. Damit hat man die nationale
Energieversorgung auf ein neues Level katapultiert. Gemessen an heutigen Maßstäben war dies eine Leistung in Rekordgeschwindigkeit.
Ausschlaggebend war damals wie heute die exzellente Lage unseres Hafens mit seinem natürlichen tiefen Fahrwasser. Infolgedessen gilt die NWO zu Recht als Keimzelle des Tiefwasserhafens. Dank ihr entwickelte sich Wilhelmshaven als Knotenpunkt für Umschlag, Lagerung und Durchleitung zum bedeutendsten Im- und Exporthafen Deutschlands im Bereich Chemie und Mineralöl. All das darf man nicht vergessen, wenn man sich jetzt als innovative Energiedrehscheibe der Republik feiert. Im Grunde genommen war unsere Stadt das schon immer. Nur wissen viele gar nicht, wem sie das überhaupt zu verdanken haben. Das Gleiche gilt für den Hype auf Flüssigerdgas (LNG englisch: „Liquefied Natural Gas“).

Wie darf ich das verstehen?
Die WHV e. V. befasst sich bereits seit fast 40 Jahren mit dem Thema und hat permanent vor der Abhängigkeit vom russischen Gas gewarnt. Unseren letzten Vorstoß gemeinsam mit der Deutschen Flüssiggas Terminal GmbH einen LNG-Terminal zu eröffnen, haben wir leider 2020 beerdigen müssen.

Was hat dazu geführt?
Seinerzeit hielt man unser Ansinnen für überflüssig. Mittlerweile schüttelt jeder angesichts dieser Blauäugigkeit den Kopf. Wir haben ihn schon vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine geschüttelt. Nämlich als uns der verantwortliche Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) seine Absage mit den Worten versüßen wollte: „Machen Sie sich mal keine Sorgen, die Russen sind zuverlässig.“ Heute ist das Geschichte, ebenso wie der Minister.
Das LNG-Terminal ist hingegen Realität.

Ebenso wie der JadeWeserPort (JWP), der 2012 eröffnet wurde.
Dafür haben wir als Wilhelmshavener Hafenwirtschafts-Vereinigung e. V. fast 30 Jahre lang gekämpft und viel Zeit und Geld investiert. Am Ende zählt nur das Ergebnis. Als Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) am 30. März 2001 persönlich an die Jade kam, um die Entscheidung für Wilhelmshaven und gegen Cuxhaven zu verkünden, ist dieser Tag als „goldener Freitag“ und „ein Tag von unfassbarer Dimension für Wilhelmshaven und die Region“ in die Annalen der Stadt eingegangen.

Im Augenblick beschäftigt sich die WHV e. V. unter anderem intensiv mit dem Ausbau des JWP II. In diesem Zusammenhang legen Sie Ihr Hauptaugenmerk aber nicht nur auf den Containerumschlag.
Das ist richtig. In seiner zweiten Baustufe kann der JadeWeserPort so realisiert werden, dass er als Multi-Purpose-Hafen gleich mehrere Hafenfunktionen erfüllen wird.

Welche wären das?
Aus Erfahrung empfehlen wir für die geplante Projektkaje neben der Nutzung für das sogenannte RoRo-Geschäft eine enge Verzahnung von Energie- und Hafenwirtschaft. Das heißt, der zukünftige „JadeWeserPort II“ muss im erforderlichen Umfang für die Offshore-Windenergie genutzt werden können. Nur so können die politisch gesteckten Energieziele in diesem Bereich erfüllt werden.
Die WindGuard-Studie vom Herbst 2023 bringt es diesbezüglich auf den Punkt: „Die aktuell nutzbaren Hafenflächen und Kaianlagen in den deutschen Häfen sind weitgehend ausgelastet.“ Daraus ergibt sich die Frage, welche Standorte sind überhaupt für diese Zwecke geeignet.

Und die Antwort lautet: „Wilhelmshaven?“
Ja. Für die besonderen Anforderungen von Errichter- und Basishäfen für Offshore-Windkraftanlagen existieren an der deutschen Nordseeküste nur wenige Erweiterungsmöglichkeiten. Über die besten Voraussetzungen für die Bewältigung dieser Mammutaufgabe dieser Mammutaufgabe
verfügt der Wilhelmshavener Tiefwasserhafen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass ausgerechnet der Sohn einer Bremer Reederfamilie sich derartig für den Standort
Wilhelmshaven stark macht.
Das ist mir offensichtlich in die Wiege gelegt worden. Mein Vater, den alle „Sir John“ nannten, war im Zuge der Ansiedlung der Nord-West-Oelleitung GmbH einer der Motoren der Hafenwirtschaft. 1972 bat er mich, in seine Fußstapfen zu treten und die Geschäftsführung der „NEPTUN Schiffahrts-Agentur GmbH“ an der Jade zu übernehmen.
Zugegeben, meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Zu diesem Zeitpunkt lebte ich in London, wo ich Berufserfahrung in den Bereichen „Ship Broker and Chartering“, „Maritime Insurance and Legal Claim Adjustment“ und als Fleetmanager für die Tankschiffreederei eines großen internationalen Mineralölkonzerns sammelte. Als junger Mann von 25 Jahren erschien mir Wilhelmshaven demzufolge nicht gerade verlockend.

Und heute?
Kann ich darüber nur schmunzeln und bin sehr dankbar für die zahlreichen Chancen und Möglichkeiten, die ich vor Ort erhalten habe. Einerseits bei der NEPTUN, andererseits bei dem Aufbau der Hafenwirtschaft. In den vergangenen Jahren durfte ich gemeinsam mit meiner Vorstandscrew und unseren Mitarbeitern viel gestalten. Inzwischen fühle ich mich deshalb als Wilhelmshavener Hanseat.
An der Jade bin ich buchstäblich vor Anker gegangen. Beruflich und privat. Meine Frau Hilke und ich haben zwei Kinder und sieben Enkel. Das macht aus einem Wohnort einen Heimathafen. Vor diesem Hintergrund liegt es mir sehr am Herzen, dass alle ökonomischen Entscheidungen auch ökologisch vertretbar sind.
Es geht immerhin darum, welches Erbe wir den nachfolgenden Generationen hinterlassen. Wertschöpfung und Weltnaturerbe Wattenmeer müssen sich dabei nicht zwangsläufig ausschließen. „Wilhelmshaven als grüne Hafenstadt am Weltnaturerbe“ ist daher eine Zukunftsvision, die mir ausgesprochen gut gefällt.
